Lohn: "Verhandeln braucht Mut"
Interview
Dr. Adel Abdel-Latif ist Verhandlungsprofi.
Der Radiologe beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Verhandlungen.
Dr. Adel Abdel-Latif Verhandlungsprofi
Im Vorstellungsgespräch glaubt der Bewerber, er habe die schwächere Position. Wie erreiche ich meine Ziele?
Der Jobbewerber geht davon aus, dass er einer von 50 ist und er den Job so annehmen muss, wie er angeboten wird. Das ist nicht so. Ein Jobgespräch ist ein Verhandlungsgespräch mit dem Ziel, den Job passend zu besetzen. Der Arbeitgeber hat somit Interesse am Profil, an den Qualifikation oder am Netzwerk des Bewerbers. Wem das bewusst ist, geht anders ins Gespräch.
Das heisst, der Bewerber darf selbstbewusst auftreten und sich gut verkaufen.
Genau. Das gelingt nur, wenn er top vorbereitet ist. Dazu zählen Infos zur Branche, Firma, Gesprächsteilnehmern und Gehalt. Viele gehen ins Gespräch mit dem Ansatz ‚Ich schau mir das mal an‘. Das ist ein teurer Fehler. Dadurch kann kein guter Vertrag ausgehandelt werden und die eigenen Wünsche bleiben unberücksichtigt.
Spätestens am Ende des Vorstellungsgesprächs heisst es: Wie sehen Ihre Gehaltsvorstellungen aus. Setze ich dann mein Pokerface auf?
Pokerface ist schlecht. Bewerber sollten wissen, was sie in der Branche durchschnittlich verdienen. Publikationen, Chats und Mitarbeiter der Firma sind potenzielle Quellen. Wenn Du die Spanne kennst, kannst Du auf die Frage mit Deiner obersten Gehaltsvorstellung starten und betonen, dass dies branchenüblich sei. Somit hängt Dein Vorschlag als Zahl im Raum und kann verhandelt werden.
Und wenn ich keine Gehaltszahlen der Branche gefunden habe und nix sagen kann?
Du kannst den Arbeitgeber nach seinem Angebot fragen. Egal, wie gut dies ausfällt und selbst wenn es Deine Gehaltsvorstellung übersteigt, setze ein erstauntes Gesicht auf und sage nichts, nur kurz ‚Schwierig‘. Damit wird der Arbeitgeber nicht rechnen, der Druck bei ihm steigt und er wird beginnen, seine Firma argumentativ zu verkaufen. Und oft springt ein höheres Gehalt heraus.
Wie gehe ich vor, wenn das Salär von Anfang an feststeht wie bei Traineeprogramm?
Die meisten konzentrieren sich bei der Vorbereitung nur auf das Gehalt. Es gilt aber, sich vorab mindestens zehn Forderungen zu notieren. Das können Weiterbildung, Dienstwagen, Versicherungen, Sonderurlaub etc. sein. Diese erhalten eine Priorität von 1 – ist mir sehr wichtig – bis hin zu 3 – ist mir egal. Der Arbeitgeber kennt die Gewichtung natürlich nicht. Das ist der Ausgangspunkt für die Verhandlung.
Das heisst, ich versuche neben dem Gehalt weitere Benefits auszuhandeln?
Genau. Du beginnst mit einer Forderung der Wichtigkeit drei, beispielsweise dem Dienstwagen. Der Arbeitgeber wird Dich vertrösten, dass dieser erst bei einer höheren Position möglich sei. Dann äusserst Du Deine nächste Forderung – diesmal der Priorität eins – wie eine Weiterbildung. Wenn das nicht sofort möglich ist, könnt ihr diese vielleicht für in einem Jahr festlegen.
Was mache ich, wenn der Arbeitgeber in allen Punkten hart und uneinsichtig bleibt?
Bedanke Dich für das Gespräch, betone Eure Gemeinsamkeiten bezüglich Job, Aufgaben und Vorstellungen und erkläre, dass Du im Moment das Gespräch abbrechen würdest, da ihr Euch in dem Punkt nicht einigen könnt. Biete an, dass Du Dich gerne nochmal zusammensetzen würdest, wenn sich etwas Neues ergibt. Das hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Aber doch keinen guten Eindruck?
Du hast ja nicht gleich den Job abgelehnt, sondern dargelegt, dass Dir gewisse Punkte für Deinen neuen Job essentiell sind. Natürlich erfordert dieser Schritt viel Mut, aber er zahlt sich oft aus. Der Arbeitgeber sucht sein Profil und nimmt nicht den billigsten Kandidaten. Bei Wunschkandidaten, schaut er, was er noch anbieten kann. Du unterscheidest Dich mit Deiner Standhaftigkeit von der breiten Masse der Bewerber und der Interviewer rechnet nicht damit. Durch die Forderungen bietest Du eine Verhandlungsmasse.
Wenn ich den Job unbedingt brauche, ist so eine Verhandlung eher schädlich?!
Du gehst ja freundlich aus dem Gespräch heraus. Nach zwei Tagen kannst Du auf den Arbeitgeber zugehen, Eure Gemeinsamkeiten nennen und betonen, dass Du alles noch einmal durchdacht hast und Dich gerne noch einmal zusammensetzen würdest. Somit hast Du Dich wieder elegant ins Gespräch gebracht.
Steckbrief
Dr. med. Abdel-Latif gilt als Verhandlungsprofi. Seit 25 Jahren beschäftigt sich der einstige Radiologe und Kickbox-Weltmeister mit Verhandeln. In den Anfängen handelte er für Familienmitglieder und Kollegen alltägliche Dinge wie Autos etc. aus, sass während seiner ärztlichen Tätigkeit selbst für Auftraggeber am Verhandlungstisch und agiert heute – seit 5 Jahren nicht mehr in der klinischen Medizin tätig – aus dem Hintergrund heraus, als so genannter Ghost Negotiator. Er hat mehrere Dozenturen auf dem Gebiet der strategischen- und taktischen Verhandlungsführung inne, u.a. an der Executive School der Universität St. Gallen (ES-HSG) und der Privaten Hochschule Wirtschaft Bern (PHW). Mitte August erschien sein Buch "Quick & Dirty. Die geheimen Strategien des Verhandlungsprofis" im Redline Verlag. www.theghostnegotiator.com
Verena von Herwarth, Redakteurin